Brandkatastrophe in der k.u.k. Munitionsfabrik Wöllersdorf am 18.9.1918

Der Brand in der k.u.k. Munitionsfabrik Wöllersdorf war die größte zivile Katastrophe, die sich während des Ersten Weltkrieges in der österreichisch-ungarischen Monarchie ereignete. 423 Menschen fielen ihr zum Opfer, vielleicht auch mehr. Unter den Opfern befanden sich auch diese 14 Mädchen und Frauen aus Winzendorf:        

·         Apollonia Brunflicker, 24 Jahre, Haus Nr. 6
.         Marie Handlhofer, 34 Jahre, Haus Nr. 39
·         Franziska Hochhauser, 14 Jahre, Haus Nr. 93
·         Josefa Rosa Hofer, 19 Jahre, Haus Nr.57
·         Maria Anna Kollmann, 18 Jahre, Haus Nr. 45
·         Leopoldine Mayer, 18 Jahre, Haus Nr. 60
·         Theresia Ruttmann, 19 Jahre, Haus Nr. 61
·         Barbara Seiser, geb. Augustin, 23 Jahre, Haus Nr. 62
·         Theresia Wiedhofer, 20 Jahre, Haus Nr. 77
·         Agnes Wiedhofer, 24 Jahre, Haus Nr. 77
·         Leopoldine Antonia Woltran, 14 Jahre, Haus Nr. 116
·         Maria Woltran, 16 Jahre, Haus Nr. 96
·         Barbara Zehrer, 19 Jahre, Haus Nr. 17
.         Marie Korner, 26 Jahre, zuletzt wohnhaft in Wiener Neustadt

Ihr junges Leben wurde am 18. September 1918 von den Flammen gnadenlos vernichtet. Zwei Monate später kapitulierte die Habsburg-Monarchie, die Republik Österreich wurde am 12. November 1918 ausgerufen.

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Neue Winzendorfer Gedenkstätte 2018 mit original-Grabstein aus 1918 für die Opfer der Wöllersdorfer Brandkatastrophe vom 18.09.1918.

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​Volksschule Winzendorf, Schuljahr           Die 4 Gedenksteine für die
1912/1913: Fünf der abgebildeten           Brandkatastrophe (v.l.n.r.):
Schülerinnen verbrannten 1918 bei          Das unbekannte Leid,
Katastrophe in Wöllersdorf - insge-          Die Katastrophe, Die Opfer
samt 423 Personen, darunter                  und vorne Das Gedenken.
14 Winzendorferinnen.
 

Die von Helmut Meitz und Hermann Schifer aus Wöllersdorf festgehaltenen Augenzeugenberichte liefern einen Eindruck von der verheerenden Brandkatastrophe:

Warum die Gittertore verschlossen waren, erklärte die Augenzeugin Eugenie Lichtenwörther aus Wöllersdorf so:

„Ich war als neunzehnjähriges Mädchen in einer Halle neben dem Objekt 143 beschäftigt. In dieser Halle wurde an Artilleriemunition gearbeitet. Die Frauen wogen das Schießpulver in Leinensäcke und nähten diese zu. Dann wurden die Säckchen mit Zündhütchen in die Geschosse gesteckt. Der Sommer war auf dem Steinfeld, wo die Munitionsfabrik stand, immer heiß und trocken. Durch das Glas der Dachfenster in Objekt 143 heizte sich die Luft in der Halle unerträglich auf. Die Fenster waren nicht zu öffnen. Um Frischluft und etwas Abkühlung zu bekommen, musste man daher die Tore öffnen. Um rechtzeitig bei der Ausgabe des Mittagessens zu sein, verließen Arbeiterinnen bereits etwas vor 12 Uhr mittags die Halle durch eines der seitlichen Tore. Daher schloss das militärische Aufsichtspersonal immer deutlich vor der Mittagspause diese Tore und ließ nur ein einziges Eingangstor offen, wo sie das Kommen und Gehen gut kontrollieren konnten. Um der unerträglichen Hitze zu begegnen, kamen die für die Kontrolle des Objektes 143 verantwortlichen  Militärs auf die Idee, die Ausgänge mit Gittertoren zu versperren. Beim Ausbruch des Brandes um etwa 11:30 Uhr war daher für die Beschäftigten jeder Fluchtweg versperrt. An den Gittertoren häuften sich die Leichen. Als man die Tore mit Mühe aufbrachte, stürzten Überlebende vor Schmerzen brüllend ins Freie. Die meisten brachen hier sofort zusammen.“

Füllung der GeschoßhülsenDie k.u.k. Munitionsfabrik Wöllersdorf war der größte Industriebetrieb der Österreich-Ungarischen Monarchie und zählte 1916 über 45.000 Beschäftigte, davon der Großteil Frauen. Am Gelände gab es fast 1000 Bauten (Objekte).

Der Dechant von Wöllersdorf, Karl Minichthaler schrieb in die Pfarrchronik: „Ich bin am 18. September 1918 um 1 Uhr nachmittags zur Aushilfe des Feldkuraten in das Fabrikspital gefahren und habe den wenigen, welche bei Besinnung waren, die Beichte abgenommen und den Bewusstlosen die Absolution gespendet. Es war ein jammervoller Anblick. Ganz nackt brachte man die Armen in den Krankensaal – denn die furchtbare Stichflamme der pulverigen Nitrozellulose hatte sämtliche Bekleidung im Nu verzehrt. Am ganzen Körper verbrannt lagen die Verwundeten und Sterbenden röchelnd auf ihren Schmerzenslagern, bis die Ärzte und Pflegerinnen alle der Reihe nach verbanden. Viele verstarben ihnen unter den Händen. Besonders grauenvoll war der Anblick der Bergung der Toten. Beim Eingang zur Totenkammer fuhr ein Automobil nach dem anderen vor, welche die Todesopfer von der Unglücksstelle brachten. In jedem Wagen waren ungefähr zehn Leichname übereinander gelagert, wie geschlachtete Kälber auf einem Fleischerwagen. Der Wagen wurde geöffnet: Mit raschem Griff erfassten zwei starke Arme eine Tote nach der anderen, zogen sie auf die bereitstehende Bahre und schon trugen zwei Soldaten die Leiche in den Saal und legten sie auf die Erde in die fast unabsehbare Reihe der dort liegenden Opfer. Rasch arbeiteten die Leute, denn Wagen folgte auf Wagen. Sie hatten Eile, um die Toten alle noch vor Einbruch der Nacht zur bergen. Wie versteinert grinsten uns die entstellten, indianerbraun gefärbten Gesichter der Toten entgegen. Steif ragten ihre Glieder in die Luft. Splitternackt, denn alles an ihnen war versengt, bis auf die Schuhe, welche die meisten noch anhatten. So lagen die meist jungen toten Frauen auf dem Boden.“

Skizze

Die Arbeiter-Zeitung schrieb am 22.9.1918: „Die Katastrophe hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Ringtheaterbrand. Im Theater waren die Türen geschlossen, in Wöllersdorf wurden sie zu spät geöffnet und durch die Stichflammen und Leichen verlegt und unbenutzbar gemacht.“ Der Brand im Wiener Ringtheater am 8. Dezember 1881 war mit offiziell 384 Toten eine der größten Brandkatastrophen der Monarchie.

Durch die Wirrnisse in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und die Nachwirkungen der beiden Weltkriege wurde die Wöllersdorfer Brandkatastrophe nie genau untersucht, ist bei vielen Bewohnern des Steinfeldes in Vergessenheit geraten und wurde, wie andere unangenehme Erinnerungen, verdrängt. Das unvorstellbare Ausmaß dieses Fabrikbrandes, das dadurch in den betroffenen Familien ausgelöste Leid und nicht zuletzt die Opfer selbst, fordern ein Gedenken.

Am 28. September 2018 wird Frau Bürgermeister Sochurek die vor dem historischen Grabstein errichtete Gedenkstätte ihrer Bestimmung übergeben. Diese Gedenkstätte soll einerseits an die Opfer erinnern und andererseits eine Mahnung für die Nachwelt darstellen, als stille Aufforderung an alle, sich für die Sicherung und den Erhalt des Friedens einzusetzen.

Die Grabstätten für die Opfer der Wöllersdorfer Brandkatastrophe in einigen Nachbargemeinden:

  Grabstein Nachbargemeinden Steinabrückl Wöllersdorf      Grabstein Nachbargemeinden Wiener Neustadt       Grabstein Nachbargemeinden Bad Fischau

  Steinabrückl-Wöllersdorf    Wiener Neustadt              Bad Fischau

Letzes verbliebenes Gebäude - MABADas letzte verbliebene Gebäude der Munitionsfabrik an der Bundesstraße Feuerwerksanstalt / Wöllersdorf: Die ehemalige Elektrizitätszentrale wurde 1916 errichtet und ist heute Verwaltungszentrale der MABA Fertigteilindustrie GmbH.






Datei herunterladen: PDFBrandkatastrophe-Gedenkstaette-in-Winzendorf.pdf

Datei herunterladen: PDFBrandkatastrophe_18-9-1918_Woellersdorfer-Munitionsfabrik

Eintragung zum Gedenkjahr 2018 in die Website ÖSTERREICH 100

https://www.oesterreich100.at/veranstaltungsdetails/show/100-jahre-brandkatastrophe-in-der-kuk-munitionsfabrik-woellersdorf-nie-wieder-krieg.html

Zeitungsberichte aus dem Jahr 1918 zur Brandkatastrophe:

Bericht Neues Wiener Tagblatt vom 24.9.1918, Seite 9 über die Brandkatastrophe  > http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nwg&datum=19180924&seite=9&zoom=33&query=%22W%C3%B6llersdorf%22%2B%22Brandkatastrophe%22%2B%221918%22&ref=anno-search

Bericht der Arbeiter-Zeitung vom 21.9.1918, Seite 1  über die Brandkatastrophe und Beerdigung >  http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=aze&datum=19180921&seite=1&zoom=33&query=%22Munitionsfabrik%22%2B%22W%C3%B6llersdorf%22&ref=anno-search

Bericht Wiener Journal vom 22. 9.1918, Seite 4 über die Beerdigung > http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nwj&datum=19180922&seite=4&zoom=33&query=%22Brandkatastrophe%22%2B%22W%C3%B6llersdorf%22%2B%221918%22&ref=anno-search